Rilke hat das folgende Gedicht geschrieben als Bewunderung für die wunderbaren Terrakotta-Figuren, die 1874 in einem Gräberfeld der Totenstadt auf dem Kokkalihügel von Tanagra, einem antiken Ort in Böotien (Griechenland) unweit von Athen gefunden wurden.
"TANAGRA" von Rainer Maria Rilke, Juli 1906, Paris
"Ein wenig gebrannter Erde, wie von großer Sonne gebrannt. Als wäre die Gebärde einer Mädchenhand auf einmal nicht mehr vergangen; ohne nach etwas zu langen, zu keinem Dinge hin aus ihrem Gefühle führend, nur an sich selber rührend wie eine Hand ans Kinn.
Wir heben und wir drehen eine und eine Figur; wir können fast verstehen weshalb sie nicht vergehen, - aber wir sollen nur tiefer und wunderbarer hängen an dem was war und lächeln: ein wenig klarer vielleicht als vor einem Jahr."
Tanagra-Figur, 350 v. Chr. Privatbesitz
Tanagra-Figur mit Fächer Privatbesitz
Von der griechischen Dichterin und Muse Korinna, die auch der römische Dichter Ovid erwähnt hat, ist dieses Gedicht auf die Frauen von Tanagra aus dem Jahr 500 v. Chr. (?) erhalten geblieben:
"Wieder ruft mich Terpsichore, Dass ich den Frauen von Tanagra Hohe Lieder von Helden singe; Und von Herzen freut sich die Stadt Über mein helles, heiteres Lied. Sagen, stammend aus Väterzeit, Auszuschmücken mit eigner Kunst Hebe ich nun für die Mädchen an."
Was hat es nun für eine Bewandtnis um diese Figuren der Frauen von Tanagra?
Privatbesitz
Wie aus den Photos ersichtlich, handelte es sich um vornehme Frauen, die elegant mit schwungvollem Faltenwurf gekleidet, mit Ohrringen geschmückt, einer modisch noblen Haartracht oder wie die zweite mit einem Fächer dem Schönheitsideal der damaligen Zeit entsprachen. Diese beiden Exemplare sind, gemessen an ihrem Alter von über 2300 Jahren, exzellent erhalten.
Tanagra lag in einer ländlichen Agrargegend abseits vom eleganten Athen, wo die Landfrauen mit Sicherheit einfacher gekleidet waren. Man muss vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund die Aussage der Terrakotten im sepulkraren Kontext ganz gegenständlich nehmen: Die früh Verstorbene war so schön und begehrenswert wie Aphorodite, so gebildet wie die Musen und gepflegt wie die Damen von Athen, also eine Art Wunschbild. Gesicherte Nachweise, warum ausschließlich in Tanagra diese bezaubernden Figuren mit ins Grab gegeben wurden, existieren nicht. Hier besiegten 457 v. Chr. die Spartaner die Athener, welche indessen 456 v. Chr. Tanagra zurückeroberten. Noch im 6. Jahrh. n. Chr. blühte Tanagra, dessen Gebiet in neuester Zeit durch die in der Nekropole gefundenen herrlichen Tonstatuetten von neuem berühmt geworden ist. Den Ort Tanagra bei Athen gibt es heute noch.
Die Terrakotta-Figuren wurden nach Modeln gefertigt und der Kopf nach dem Brennen separat aufgesetzt. Auf der Rückseite findet sich immer ein großes rechteckiges Loch, weil durch die Hitze des Brandes sich die Luft im hohlen Innern der Figur ausdehnt und sie zum Zerspringen bringen würde
Abschließend noch einige Mädchen von Tanagra aus der Kanellopoulos-Sammlung in Athen
Tanagras Kanellopoulos Museum Athen
Tanagras Louvre Paris
Museum Den Haag
Eremitage St.Petersburg
Museum Alexandria
Museum Dresden
Nach dem überraschenden Fund dieser Figuren 1874 war die Begeisterung groß. Das rückte natürlich die Fälscher auf den Plan und es kamen hervorragende Nachbildungen auf den Markt und auch beispiels weise in das Berliner Antikenmuseum. Erst durch die moderne Thermoluminiszenz-Untersuchung lässt sich das Alter genau nachweisen.