Das Problem der Echtheit eines Kunstwerkes ist eine zentrale Frage und nicht immer leicht zu lösen, besonders in diesem Fall. Zunächst ist zu klären, wann ein Objekt als Fälschung zu gelten hat. Das trifft dann zu, wenn es einem Künstler als sein eigenhändiges Werk zugeschrieben wird, was aber nicht der Fall ist. Bei der vorliegenden Skulptur handelt es sich um ein Kunstwerk, welches Edgar Degas tatsächlich geschaffen hat. Man fand nämlich nach seinem Tod in seinem Atelier zahlreiche Figuren aus Wachs, meist Tänzerinnen darstellend. Die Erben Degas beauftragten die Pariser Gießerei Hébrard, von den noch einigermaßer erhaltenen Stücken eine Bronzeedition zu gießen und zum Kauf anzubieten. Da jedoch die Wachsmodelle sehr brüchig waren, wurde von jedem jeweils nur ein einziger Abguß nach dem Prinzip der verlorenen Form im Wachsauschmelzverfahren hergestellt. Von dieser Bronze, dem sog. "modèle", wurden dann die restlichen 21 Exemplare zwischen 1919 und 1921 angefertigt, signiert, mit Modellnummern versehen und von a bis t durchnummeriert. Diese Güsse gelten als authentische Exemplare und bringen heute bei Auktionen je zwischen 200.000 und 400.000 Euro.
Nun stellt sich aber heraus, dass die Gießerei Hébrard, ausgestattet mit den Gußrechten, auch in den dreißiger Jahren und die Erben sogar noch bis in die fünfziger zusätzliche Güsse angefertigt haben, bis die gesamte Serie der Originalmodelle um 1957 an das Norton Simon Museum, Pasadena USA verkauft wurde, wo sie sich heute noch befindet. Auch diese Güsse gelten als "echt" bzw. authentisch, wie im neuesten Werkverzeichnis über die editierten Degas-Bronzen, verfasst von Anne Pingeot (Memphis 2002 Seite 199), nachzulesen ist. Dort ist sowohl der Standort der editierten 21 Frühgüsse dieses Modells Nr. 40 als auch eine Anzahl von zusätzlichen späteren Güssen, soweit sie bekannt sind, aufgeführt.
Ich möchte nun im folgenden einen solchen Spätguss vorstellen und die Frage stellen: Ist er echt oder falsch? Es handelt sich um die Bronze-Skulptur "Tänzerin, die Sohle ihres rechten Fußes betrachtend". Zunächst das Original-Wachsmodell, das sich in der Nationalgalerie Washington befindet.Es ist zu sehen, dass das Modell aus Wachs wegen seiner Brüchigkeit und Instabilität gestützt werden musste.
DEGAS: Original-Wachsmodell
Späterer Bronzeguss 40/O
Rückseite
Nun folgt ein direkter Objektvergleich von zwei Bronzen des gleichen Modells Nr. 40, Exemplar A ist ein authentischer Frühguss aus dem Musée d´Orsay, Paris und Exemplar B ein strittiger Spätguss. Beide werden nun parallel einander gegenüber gestellt. Auf den ersten Blick erscheinen sie völlig identisch.
Die dunklere Bronze ist Exemplar A, die hellere B
Aus diesen Vergleichsfotos ist unschwer zu erkennen, dass die Bronze B in ihrer Oberfläche (Epidermis) etwas verwaschener ist. Das gleiche gilt für die folgenden Detailaufnahmen. Dass sich die Patina der einzelnen Güsse unterscheidet, ist normal. Auch ist Exemplar B um ca. 2 Kilo schwerer. Dies hängt von der Stärke des jeweiligen Hohlgusses ab.
Exemplar A
Exemplar B
Exemplar A
Exemplar B
Auf Grund dieser Vergleiche liegt zunächst auf den ersten Blick der Schluss nahe, dass Exemplar B einen nicht autorisierten, also illegalen Nachguss darstellt d.h. von einem vorhandenen, authentischen Frühguss der Edition abgegossen worden ist. Das stimmt aber nicht. Was spricht dagegen, was dafür?
FÜR DIE ECHTHEIT VON EXEMPLAR B SPRICHT:
Exemplar B ist in allen äußeren Ausmaßen absolut identisch mit Exemplar A,46,2 cm groß, kann also kein Abguss von einer Bronze aus der Serie sein, sondern nur ein Abguss vom Pasadena-Originalmodell; denn durch den Schrumpfungsprozess beim Erkalten der heißen Bronze müsste es um einige Millimeter kleiner sein, was aber nicht der Fall ist. Als sichtbares Beispiel hierfür sei eine Degas-Bronze angeführt, welche sich im Virginia Museum of Fine Arts, Richmond USA befindet, wo Orginal-Wachsmodell und Bronzeabguss nebeneinander aufgestellt sind. Es ist deutlich zu erkennen, dass die Ausführung in Wachs (rechts im Bild) etwas größer ist, als der Bronze-Abguss (links im Bild)
Auch die etwas verschwommenere Oberfläche bei Exemplar B erklärt sich aus der Tatsache, dass wohl die späteren Gießer die aus der Form grob herausgenommene Bronze stärker abgeschliffen und die gußbedingten Überstände entfernt haben als jene Gießer der Firma Hébrard von 1919 bis 1921. Dadurch gingen einige Details verloren und der Guß verlor an Schärfe. Tatsächlich kamen in letzter Zeit solche späten, verwascheneren Güsse in den Handel und sind auch im o.a. neuen Werkverzeichnis von Pingeot als echt anerkannt und aufgeführt. Ihre Marktpreise sind natürlich niedriger als die 21 Frühgüsse. Außerdem wurden diese Exemplare zum Teil nicht mehr von Hébrard, sondern auch von anderen Gießereien hergestellt, vor allem jene, welche die Erbin Nelly Hébrard um 1950 in Auftrag gegeben hat. Dass der Gießerstempel nicht den sonst meist üblichen Wulst aufweist, rührt von der Härte des Wachses her, in das er eingedrückt worden ist. Es gibt Exemplare von Degas-Bronzen gleichen Aussehens und auch mit schwer leserlichem Gießerstempel.
FÜR DIE UNECHTHEIT VON EXEMPLAR B SPRICHT:
Der Gießerstempel ist etwas verschwommen. Die Nummerierung bei Exemplar B ist fast doppelt so groß wie bei Exemplar A. Sie wurde vermutlich von Hand in das Wachs eingeritzt im Gegensatz zu den verwendeten Nummern- und Buchstabenstempeln der Frühedition. Der Verbleib des Gusses 40/O ist in beiden Werkverzeichnissen (Campbell und Pingeot) nicht abgeklärt. Beide Verfasser bekamen dieses Exemplar nie zu Gesicht, wie sie mir erklärten. Sollte der Frühguss mit der Nummerierung 40/O aber tatsächlich einmal auftreten, dann ist die Nummerierung bei B seltsam. Es kann auch sein, dass Hébrard später den Guss O ein zweites Mal ausgeführt hat, entweder weil der Erstguß mißlungen war oder verloren ging. Letzteres sind aber Hypothesen.
Nummerierung und Gießerstempel: oben B, unten A
Exemplar B: Strittige Nummerierung und Gießerstempel
FAZIT:
Die strittige Bronze Exemplar B ist also keine Fälschung, sondern wegen der äußeren Ausmaße tatsächlich ein Abguss der Gießerei Hébrard vom Originalmodell Nr.40 allerdings ein späterer und, was die Epidermis betrifft, in etwas schlechterer Qualität ausgeführt wie auch alle anderen bekannten als authentisch und original bewerteten Spätgüsse, welche die gleiche, etwas verwaschenere Oberfläche aufweisen. Es ist bekannt, dass einige Mitarbeiter der Gießerei Hébrard wegen des großen Verkaufserfolgs der Degas-Bronzen sich das Recht herausnahmen und später eigenmächtig einige Güsse davon herzustellten. Solche Stücke sind nicht autorisiert und illegal. Ob es sich hier um ein solches Exemplar handelt, ist anzuzweifeln, da diese keinen Gießerstempel aufweisen. Ebenfalls ist die Datierung des Gusses B nicht genau aufzuklären. Rätsel gibt lediglich die verschiedene Art der Nummerierung im Vergleich zu Exemplar A auf.
Zum Abschluss stelle ich noch eine ganz plumpe, minderwertige Fälschung dieser Degas-Bronze vor, wie sie in einer Münchner Kunstgalerie für Bronzen angeboten worden ist.