Um 1975 besuchte mich auf Empfehlung einer Bekannten ein Herr mittleren Alters mit der Bitte ihm zu helfen, sein Atelier in der Akademie der bildenden Künste München zu beschallen. Er hörte, dass ich mich in Sachen technischer Musikwiedergabe gut auskannte. Es war Professor Günter Fruhtrunk. Er liebte es nämlich, laute klassische Musik bei seiner Arbeit zu genießen. Sein Kofferradio genügte ihm nicht mehr. Ich besorgte also ein entsprechendes Equipment, und nach der Inbetriebnahme einer tollen Stereoanlage war er beglückt. Sie lief daraufhin den ganzen Tag.
FRUHTRUNK Um 1975 vor seinem Atelier in Perigny bei Paris Foto: Marino di Teana
Kurz darauf lud er mich in sein Haus in Perigny sur Yerres bei Paris ein, um auch dort eine Musikanlage zu installieren.
ich (links) mit Architekt Josef Frank zu Besuch bei Fruhtrunk im Atelier, um 1975 Foto: Marino di Teana
dto.
Nicht lange nach diesem Besuch ließ er die folgenden fünf Ölgemälde zur Ansicht in mein Haus bringen. Er hatte vielleicht das Gefühl, dass mir seine Bilder, die er uns in seinem Atelier aufzuschlüsseln versuchte, nicht sonderlich viel sagten, und wollte mich dafür begeistern, was sehr bald ohne sein Zutun geschah.
3 Fruhtrunks in meinem Haus
Das rechte Bild "Trennende Weiß" hing vordem in Fruhtrunks Wohnzimmer in Perigny bei Paris.
Fruhtrunks Wohnzimmer mit "Trennende Weiß"
2 weitere Leihgaben
Monotypie, Unikat 90 x 90 auf Hartfaser aufgezogen
Rückseite handsigniert
Progression gelb-blau-schwarz, Acryl auf Leinwand (132 x 150 cm) Privatbesitz
Rückseite
Dieses Bild mit dem Titel "Progression gelb-blau-schwarz" war auf der Documenta 4 im Jahr 1968 in Kassel (Katalog S. 86) ausgestellt und erregte großes Aufsehen. Er hielt es für sein Schlüsselbild. Nun hatte er seinen endgültigen Stil erreicht. Die Rückseite bezeugt, dass Fruhtrunk die Richtung der Hängung des Bildes nach einer Zeit verändert hat. Auch sein Monogramm, das er meist bei großen Bildern verwendet hat, ist erkennbar.
Er hat sich lange an dieses Bild herangearbeitet und mehrere kleinere "Etüden" angefertigt. Auch eine Serigraphie ist entstanden.
Etüde 4 (59 x 67 cm)
Mir war bis dato Fruhtrunk unbekannt und ich konnte auch zunächst mit seinen Bildern wenig anfangen, bis er sie mir und deren musikalischen Hintergrund erklärte. So zeigte er mir Bilder mit Titeln wie "Kadenz", "Orgelpunkt", "Cantus firmus" u.a. Seine Bilder sind Farbklänge oder Farbakkorde in parallelen, orthogonalen oder diagonalen farbigen Vektoren und Farbinterferenzen."Ich habe nie Streifen gemalt", sagte er wörtlich. Allmählich begriff ich, was er mit seiner dynamische Formensprache ausdrücken wollte, eine farbintensive Bildwelt, indem er aus vektorähnlichen Diagonal, -Vertikal und-Horizontalstreifen farblich alternierend strenge Rhythmen anordnet. Diese sog. "Konkrete Kunst" ist im eigentlichen Sinne nicht „abstrakt“, da sie nichts in der materiellen Realität Vorhandenes abstrahiert, sondern im Gegenteil Geistiges materialisiert, keinerlei symbolische Bedeutung besitzt und mehr oder weniger rein durch geometrische Konstruktion erzeugt ist. Nachdem ich das einigermaßen begriffen hatte, wandelte sich mein anfängliches Unverständnis in Begeisterung um. Heute sammle ich vor allem sein graphisches Werk.
Meine Erinnerungen an Fruhtrunk sind am Schluß dieser Seite noch ausführlicher festgehalten.
Variation 1 Ölbild
Variation 2 Serigraphie
Variation 3 Jahresteller für die Firma Rosenthal
Diese Bilder erregten damals erhebliches Aufsehen. Das Motiv wurde später, abgewandelt, und sogar bis heute für die Einkaufstüte der Firma ALDI-Nord verwendet. Fruhtrunk nannte diesen Auftrag seinen Sündenfall.
Aldi-Tasche
Zunächst ein kurzer Überblick über Fruhtrunks Werk. Es lässt sich in vier Phasen einteilen.
1. Frühphase ab 1955 und Zwischenphase
Diese Bilder sind sehr poetisch und meist aus Kostengründen auf Rupfen gemalt. Die Beeinflussung durch Malevitsch ist unverkennbar.
Stille
Mappe mit 6 Bll. Farbserigraphien nach Gemälden zw. 1957 unde 1963, hrsg. von Editions Lahumière, Paris 1971
Weitere Serigraphien:
1963
Interferenzen
Klostergarten
mit seinem Freund, dem Bildhauer Marino di Teana
2. Hauptphase ab 1968
In dieser Phase artikuliert sich Fruhtrunk in seiner ganz typischen Art und Weise. Die Farbakkorde und Farbklänge stellt er in geraden Streifen, horizontal oder vertial, dar und auch schräge in beiden Richtungen, wobei er mit den Durchbrechungen eine starke Dynamik erzielt.
Skansion
Mode in den sechziger Jahren à la Fruhtrunk
Die Signatur
Agitation 1973
Seinem Lehrer Hans Arp widmet er dieses Epitaph
Und Arp hat für ihn das folgende Gedicht verfasst:
FRUHTRUNK
Nomen est omen.
Son nom signifie : ivresse de l´ aube !
Le peinture de Fruhtrunk me rappelle l´ ivresse de Nietzsche.
Depuis des années il étudie la sur-peinture.
Rèvre-t-il de peindre de la sur-peinture ?
Rèvre-t-il d´abreuver le étoiles ?
Il peint des coffres pour garder des étoiles filantes.
Je connais des étoiles qui lui ont commandé des salles d´attente pour étoiles.
La carrière des astronautes quelle triste carrière
si je la sompare à celle du peintre Fruhtrunk !
Octobre 1962 JEAN ARP
1970
Hommage à Ducio Serigraphie
Acyl auf Leinwand
Serigraphie davon
Variation 1
Variation 2
Energie-zentrum
Fruhtrunk verwendet mitunter ungewöhnliche Formate
"Veränderte Reihen" 1972 Acryl auf Leinwand 20 x 178 cm
Siebdruck zum vorigen Gemälde
Das gleiche Bild in zwei verschiedenen Farbvarianten
Bei sehr großen Formaten musste er mit einem Wagen über die Leinwand fahren.
Auch in öffentlichen Gebäuden finden sich seine Werke
Speisesaal der Bundeswehr-Hochschule Neubiberg
Treppe in Bochum
3. Die Schlußphase ab ca. 1976
Übergang zu einem neuen Stil. Die Farben werden greller und die Ausdrucksmittel knapper.
Schließlich verwirft er auch die Reissfeder und malt freihändig.
ERINNERUNGEN AN GÜNTER FRUHTRUNK
Wer ihn gekannt hat, weiß, dass er ein Mann mit großen Spannungen war. Er konnte im Schweiße seines Angesichts malen und er konnte es auch sehr kühl vertragen. Er fuhr mit seinem Alfa Romeo von München nach Perigny sur Yerres bei Paris in Rekordzeiten,- er hatte so störende, kleinliche Dinge wie die Geschwindigkeitsanzeige mit rotem Leukoplast überklebt. Voll Häme erzählte er mir, dass er den Scheck, mit dem er in Frankreich einen Strafzettel bezahlt hatte, in Deutschland dann wieder sperren ließ. Er konnte anderseits so zarte Gefühle äußern, dass er jeden Lyriker beschämte. Er konnte im Reden und Handeln Kurven schneiden, böse Worte finden für das Mittelmaß, seinen Freunden aber ein großer und großzügiger Freund sein. Er konnte vom Versponnenen sofort ins Intensive kommen, doch in einem blieb er sich stets gleich, nämlich wenn es um die Präzision von Denkvorgängen, aber auch um die Präzision der Ausführung ging. Wie sich Großzügigkeit und Präzision in ihm verbinden konnten, dafür zeugte der Umbau des Bauernhofes in Perigny sur Yerres. Es gab da zum Beispiel einen kleinen Vorhof, der üblicherweise gepflastert ist. Fruhtrunk wählte besonders schöne Steine aus, ließ sie jedoch nicht einebnen und aneinander stoßen, sondern, da er ja jeden Stein kannte und schätzte, ließ er sie in ca. 5 Zentimetern Abständen quasi aus dem Boden herauswachsen. Man ging also tatsächlich von Stein zu Stein. Da es ihm aber auch um Sauberkeit ging und einem solchen Rost von Steinen schlecht beizukommen war, legte er sich einen Industriestaubsauger zu, mit dem er durch die Rillen fahren konnte. Problem gelöst mit einem Sieg der Ästhetik.
Fruhtrunk auf seinem Vorhof in Perigny
Oder er machte tagelange Reisen, wenn ihm ein Sammler von einem kleinen Defekt an einer haarfeinen blauen Trennlinie berichtete. Er besserte diese dünne Linie aus.
Oder als Teeliebhaber fuhr er oft in aller Frühe aus München hinaus, bis er den reinen Schnee fand, der für das Teewasser gut genug war.Günter Fruhtrunk spürte noch Werte auf und demaskierte dazu gnadenlos und scharf geißelnd die hohle Phraseologie, mit welcher Fakten ersetzt wurden. Er konnte gelassen und sicher sagen: die Franzosen sind reich, jeder Franzose ist reich, - und dies in einer Umgebung, die eher ärmliche Vorstadtumgebung war. Er sah und spürte die Geschichte in jedem Einzelnen, er spürte ihren Anteil an der Geschichte. Überhaupt lag ihm Frankreich, das er bekanntlich in früher Jugend für sich erwählt hatte, wobei er jedoch auf München nie verzichtete. Man kann sich vorstellen, dass Fruhtrunk besonderen Genuss fand am Denken Nietzsches und Adornos.
Wo aber war sein eigener Ort, seine Identität? Die Welt hatte er längst durchschaut, was ihn aber nicht resignieren ließ. Er kämpfte gegen Unwert und Unmoral. Er wusste längst, dass das Wahre kein bestimmtes Gesicht hat und lediglich unbefriedigte Energie blieb, die den Akt der Weigerung belebte und verstärkte. Wenn die Welt ein trügerisches Theater ist, muss man Mittel und Wege finden, sich anderswo einzurichten. Günter Fruhtrunk richtete sich in der Kunst ein, auch vom Reden, das er gar nicht so gerne übte, zog er sich in die Kunst zurück. Er schrieb zuletzt, dass ihn nun nichts mehr von einer weißen Leinwand weglocken könne. Alles, was dieser intelligente Künstler, spannungsreiche Mensch zu konzentrieren, ja noch zu intensivieren vermochte, galt dem Bild. Vor seinen Bildern, besser in seinen Bildern, findet die ganze Begegnung mit ihm statt.
Fruhtrunk ist ein Künstler des "Jetzt". In einem Text des Jahres 1963 wandte er sich selbst gegen die Diskussionen über Rückwendung und Zukunft, welche in der Botschaft der Kunst zu vernehmen seien. Dagegen setzte er: „ Ich möchte Bilder malen, bei denen der Zusammenruf der Mittel von aller Literatur befreit ist und davon nicht determiniert und nicht von Bedeutungen oder Zufallsgesetzen der Natur. Zufall ist Zufall ohne Gesetzmäßigkeit. In dieser Einschränkung sehe ich die erweiternde Möglichkeit, ein Jetztfeld des Sichtbaren werden zu lassen, erfahrbare Gegenwärtigkeit, souveränes Bewusstsein, Existenz als dessen Zeitidentität.
Diese Einstellung Fruhtrunks weist die kaum zu überbietende Faszination des Jetzt aus. Auf das Bild angewendet folgert Fruhtrunk " nicht hineinkomponieren in einen als vorgegeben gedachten Raum, der über die Grenzen der Leinwandfläche hinaus beliebig fortgesetzt und als Behälter gedacht werden kann." Anstelle einen Hineinkomponierens fordert er Lagerungsqualität sich durchdringender Strukturen und Partikel, eine Raum-Licht-Dauer, und alles nicht über die Fläche hinaus. Er fordert Intensität vibrierender Lichtquellen. Die Wirkung des Bildes soll ohne Unterstellung von Zielverbindung oder Ursachenfinalitat zustande kommen. Es entstehen auf diese Weise keine direkten Assoziationen zu gemachten speziellen Lebenserfahrungen. Fruhtrunks Bild ist Geistestätigkeit, in Bewegung gesetzt durch sinnliche Energie und Rhythmisierung. Er hat den Rang der Bilder bestimmt durch die Intensität des Drängens im Erregenden des Rhythmus als Offenbarung von Welt. Allein dieser Satz, der die Worte „Intensität“, „Drängen“, „Erregend“, Rhythmus“, „Offenbarung“ und „Welt in einer atemlosen Verbindung in Zusammenhang setzt, spricht in einmaliger Weise für und von diesem Mann, den man gerade wegen dieser Zuspitzung für einen seltenen, ja einzigartigen Fall in der deutschen Nachkriegszeit bewundern muss. Es mag sein, dass Fruhtrunk in seiner letzten Zeit an der objektiven Aufgabe und Möglichkeit des Bildes zweifelte. Er löste sich von den glasklaren, höchst entschiedenen Strukturen. Er ließ sich malen. Er malte in Pinselzügen. War er irritiert oder war er auf dem weg zu einer neuen Freiheit? Sicherlich wäre er aber auf den Weg einer schrankenlosen Subjektivität nicht weiter geschritten. Er war ein Mann und Mensch, der sich Gesetze gab und er war ein künstlerischer Moralist. Sein Feuer, seine Intensität, seine Zartheit, sein Licht und seine Schwärze rühren uns an. Am 12. Dezember 1982 fand man ihn leblos in seinem Münchner Atelier, neben ihm eine Anleitung zum Selbstmord. Für mich ist das heute noch unerklärlich, hatte er doch noch am Tag davor mit mir telefoniert.
Nach der großen Retrospektive In Berlin, Münster und München 1993 wurde es still um Fruhtrunk. Seine intellektualistische Malerei war nicht mehr gefragt, die Mode auf dem Kunstmarkt wandte sich figuralen Themen und dem Aktionpainting zu neben Richtungen wie Installationen, Videokunst usw. Inzwischen ist Fruhtrunk wieder im Kommen, Ausstellungen werden veranstaltet und in der Presse hoch gepriesen. Die Preise seiner größeren Bilder auf Leinwand erreichen 150.000 Euro.
Werner Esser charakterisiert Fruhtrunks Kunst wie folgt:
"Die Kunst Fruhtrunks - innerhalb der konkreten Malerei in Deutschland so herausragend wie herausfordernd - ist eine tragische. Nicht wegen des frühen, verzweifelten Todes des Künstlers, sondern im Hinblick auf das in den Werken angelegte Scheitern des Betrachters. Es ist eine Malerei. die sich nie zur Komposition verfestigt, sondern in fortwährender Formation zu einem möglichen Bild hin ihren Farben oszilliert. Der Dynamismus einer asytematischen Geometrie sowie die unkalkulierbare Sprungkraft konträrer Farben überfordern die Wahrnehmung und führen die Kategorie des Bildes in eine Krise. Das als Bild gesehene, die farbräumliche Interaktion seiner einzelnen Elemente, bleibt stets vorläufig, der Anschauungsprozess lässt ich nicht abschließen, man kann ihn nur abbrechen. “Sich durchdringende Farbstrukturen und Partikel, die ihre Eigenfarbigkeit je nach Quantitätsverhältnissen und Beeinflussung verlieren”, formulierte Fruhtrunk in einem Text von 1966, “heben sich durch ihre trennende und verbindende Gleichzeitigkeit als möglicher Raum auf. Sie verleihen sich durch Lagerungsqualität wechselwirkend gesteigerte Existenz und vernichten sich als materiell Anwesendes. Das visuell Wahrgenommen zieht uns nicht durch das Gestaltete hindurch in andere Welt, sondern entwickelt sich im Sehvorgang als ständig Werdendes zu seiner rhythmisierten Lichtenergie zurück und durchstößt das von allem Benennungswert freie Farb=Licht” Obwohl Fruhtrunk seinen Erfolg auf dem Kunstmarkt seit den mittleren 60er Jahren seiner vermeintlichen Nähe zur Op Art verdankt, hat er jedoch mit deren kalkulierten Oberflächenirritationen nichts zu tun. Er wurzelt tiefer: in der Umsturzprogrammatik von Malewitschs Suprematismus, der die ästhetische Kohärenz des Bildgefüges grundsätzlich in Frage gestellt hatte, einerseits wie dem abstrakten Expressionismus Kandinskys andererseits, der eine solche Kohärenz bei aller Disparität der Bildelement durch farblichen Zusammenklang zu stiften suchte. Trat in den 50er Jahren bei Fruhtrunk k Farbe noch als individuelle, im bewussten Bezug auf das Bildformat gesetzte abstrakte Form auf - als Figur auf Grund , so erscheint im Jahrzehnt danach als anonymisiert zur Struktur, die mit dem Feld des Bildträgers zu nehmen in eins geht und sich als körperloses Farb-Licht-Ereignis konkretisiert. Im Unterschied zu den seriellen und modularen, den rationalistischen Strukturen der geometrischen Abstraktion im Umfeld der Züricher Konkreten (Max Bill, Richard Paul Lohse), lassen sich Fruhtrunks Farbgeometrien nicht errechnen. Sie sind intuitive Findungen in freier, nicht getakteter Rhythmik, allen Verlaufserwartungen trotzdem und in ihrem Ausdrucksverhalten absehbar.
Wer sich näher mit Fruhtrunk befassen will, den verweise ich auf das im Prestel-Verlag München erschienene Standardwerk anlässlich seiner Retrospektive in der Nationalgalerie Berlin und im Lenbachhaus München, welche jetzt seinen Nachlass verwaltet.
In der Zeitschrift "Monopol" erschien im Juliheft 2009 eine ausführliche Abhandlung über Fruhtrunk.